Antrag

Reform des Wahlrechts zum Schutz der Parteien vor staatlichen Eingriffen und zur Stärkung des Vertrauens der Bürger in die Demokratie

Berlin, 27. September 2022. Nach der derzeitigen Rechtslage können Wahlzulassungsakte erst nach der Wahl im sogenannten Wahlprüfungsverfahren angefochten werden. Dieses ist zweistufig aufgebaut (Artikel 41 GG): Über Einsprüche entscheidet auf der ersten Stufe der Bundestag, auf eine Beschwerde gegen diese Entscheidung hin das Bundesverfassungsgericht. Das Nähere zum Einspruchsverfahren regelt das Wahlprüfungsgesetz (WahlPrG), zum Beschwerdeverfahren nach § 18 WahlPrG das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht (dort §§ 13 Nr. 3, 48 BVerfGG). Ein Rechtsschutz vor der Wahl sieht weder das Grundgesetz noch das Wahlprüfungsgesetz vor. Auf Bundesebene wurde durch das Bundesverfassungsgericht im Verfahren zur Zulassung von Personen zur Wahl des Europäischen Parlaments, welche nach bisheriger Rechtslage als Wahlberechtigte ausgeschlossen waren (Stichwort: „Inklusives Wahlrecht“), eine Entscheidung getroffen. Mitglieder der Fraktionen von FDP, BÜNDNIS 90 / GRÜNE und LINKE hatten in einem abstrakten Normenkontrollverfahren die Vorschriften des Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik (EuWG) Deutschland zur Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht gestellt, und diese Normenkontrolle mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz verbunden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 15.04.2019 (Az. 2 BvQ 22/19) festgelegt, dass für die neunte Wahl zum Europäischen Parlament am 26.05.2019 die ausschließenden EuWG – Vorschriften nicht anzuwenden seien. Diese Entscheidung stellt aber einen Ausnahmefall dar, da nicht sichergestellt ist, dass das Bundesverfassungsgericht in jedem Fall, in welchem um vorbeugenden Rechtsschutz vor einer Wahl nachgesucht wird, eine entsprechende einstweilige Anordnung erlassen wird.

Der fehlende Rechtsschutz vor der Wahl ist für die Sicherung der demokratischen Wahlentscheidung höchst problematisch. Wenn nach der Wahl – wohlmöglich erst gegen Ende der Legislaturperiode – festgestellt wird, dass die Entscheidung über den Wahlzulassungsakt fehlerhaft war, und das Parlament für falsch zusammengesetzt erklärt wird, dann schwächt dies die demokratischen Institutionen und erodiert die Legitimität des Parlaments und dessen Entscheidungen – vor allem dann, wenn erst die fehlerhafte Besetzung des Parlaments eine Regierungsmehrheit bzw. eine Entscheidung für oder gegen einen Gesetzesentwurf o. ä. ermöglicht hat. Der Schaden für die Demokratie, der mit dem fehlenden Rechtsschutz vor der Wahl einhergeht, ist irreparabel. Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen hatte in zwei Eilentscheidungen (Az. Vf. 77-IV-19 [e. A.] und Az. Vf. 82-IV-19 [e. A.]) vor der Durchführung der Landtagswahl 2019 in Sachsen entschieden, dass die sächsische AfD zur Landtagswahl nicht nur – wie durch die Landeswahlleiterin zugelassen – mit 18 der ursprünglich 61 Listenkandidaten antreten durfte, sondern mit 30. Faktisch hatte der Verfassungsgerichtshof damit festgestellt, dass der Ausschluss des Rechtsschutzes vor der Wahl verfassungswidrig sei. So sieht es auch der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Martin Morlok, emeritierter Professor für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ (Online-Ausgabe vom 27.07.2019, https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article197548259/So-etwas-hat-noch-kein-Gericht-gemacht.html ). Artikel 19 Abs. IV GG garantiert gerichtlichen Rechtsschutz. Der derzeitigen Regelung mangelt es aber an der verfassungsrechtlich gebotenen Effektivität; der verfassungsrechtlich garantierte Rechtsschutz läuft somit leer.

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