Die europäischen Nationalstaaten müssen in einer sich herausbildenden multipolaren Weltordnung souverän und unabhängig über ihre Sicherheit entscheiden. In den vergangenen Jahren wurde deutlich, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten zu schwach waren, den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in ihrer östlichen Nachbarschaft zu verhindern. Vielmehr hat die finanzielle und ideologische Unterstützung oppositioneller Gruppen vor allem durch das EU-Programm der Östlichen Partnerschaft zu wachsender Instabilität und Spaltung in einigen dieser Staaten geführt. Das deutsch-französische Tandem ist auch derzeit nicht in der Lage, eine führende Rolle bei der Befriedung des russisch-ukrainischen Konflikts zu spielen. Darüber hinaus hat die Bundesregierung Deutschlands Rolle als neutraler Mittler in internationalen Konflikten nahezu aufgegeben und dafür die Kosten dem unbeteiligten deutschen Volke aufgetragen, das nun mit Preissteigerungen und einer unsicheren Energieversorgung konfrontiert ist.
Die bisher vorgelegten Friedensinitiativen seitens europäischer Staaten (z.B. Italien) waren begrüßenswert, aber letztlich unrealistisch, weil sie die vitalen Sicherheitsinteressen der beiden Konfliktparteien nicht hinreichend berücksichtigt haben. Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung sich der Verantwortung Deutschlands für den Frieden in Europa besinnt und endlich engagierter für die Beendigung der Kampfhandlungen und den Frieden auftritt.
Ein erster Schritt wäre, die politische, militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine an die Verhandlungsbereitschaft Kiews zu ernsthaften Friedensgesprächen zu knüpfen und auch gegenüber Russland Gesprächsbereitschaft einzufordern. Auch unsere europäischen Nachbarn erwarten von deutscher Seite eine tragfähige Friedensinitiative und keine Unterstützung eines hingezogenen Abnutzungskampfes gegen die Russische Föderation, der die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der Länder Europas zu Russland, China und gegebenenfalls weiteren Staaten auf unabsehbare Zeit blockieren könnte.
Eine privilegierte EU-Partnerschaft für die Ukraine bei gleichzeitiger Garantie, kein Mitglied des NATO-Militärbündnisses und der EU zu werden, könnte eine Bedingung für ein Friedensabkommen sein, das sowohl die Sicherheitsinteressen Russlands als auch der Ukraine berücksichtigt. Deutschland und die EU könnten so viel besser als durch Waffenlieferungen die Voraussetzungen für den Fortbestand der Ukraine in einer europäischen Nachkriegsordnung unterstützen. Dies böte unter anderem vielfältige Möglichkeiten für wirtschaftliches Wachstum und Konnektivität in einem größeren europäischen Raum und für einen Neustart freundschaftlicher Beziehungen, die die europäischen Nationalstaaten eigenständig und unabhängig von fremden Interessen zu Russland aufbauen könnten und sollten.
Wir begrüßen und unterstützen:
Friedensbemühungen und Vermittlungsversuche seitens einzelner Staaten und der Vereinten Nationen.
Den Appell von Papst Franziskus an die russische Regierung „die Spirale von Gewalt und Tod“ zu stoppen und an die ukrainische Staatsführung „für ernsthafte Friedensvorschläge“ offen zu sein.
Den Vorschlag des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron für umgehende Friedensgespräche mit Sicherheitsgarantien für Russland (DIE ZEIT, 05. Dezember 2022).
Wir fordern die Bundesregierung auf:
- sich mit Nachdruck für die Entsendung einer internationalen Friedensdelegation unter Leitung eines Repräsentanten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nach Kiew und Moskau einzusetzen und mit beiden Seiten einen sofortigen Waffenstillstand zu vereinbaren. Ein solcher könnte
– eine Feuerpause für die Dauer von mindestens 90 Tagen
– die zeitnahe Entflechtung der beteiligten Truppen, um mindestens 30 Kilometer,
– die Überwachung der Feuerpause und Truppenentflechtung durch die OSZE,
– den sofortigen Zugang für humanitäre Hilfsorganisationen in alle umkämpften Gebiete vorsehen;
- die beiden Kriegsparteien zu umfassenden und weitreichenden Waffenstillstandsverhandlungen zu bewegen und folgende Vorschläge an die Kriegsparteien heranzutragen, die Teil eines Friedensabkommens werden könnten:
– die Schaffung von VN-Mandatsgebieten in den vier Oblasten Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson;
– ein schrittweiser Rückzug der russischen Streitkräfte aus dem ukrainischen Staatsgebiet auf den Stand vor dem 24. Februar 2022 bei gleichzeitiger schrittweiser Reduzierung der militärischen Unterstützung für die Ukraine seitens der EU-Mitgliedsstaaten, Großbritanniens und den USA sowie die schrittweise Aufhebung der gegen die Russische Föderation gerichteten Sanktionen;
– die Umsetzung des von Emmanuel Macron am 05. Dezember 2022 geäußerten Vorschlags, der Durchführung von neuen Referenden unter Beobachtung und Kontrolle der OSZE in den besetzten Gebieten der vorgenannten Oblaste über deren Zugehörigkeit zur Ukraine oder zur Russischen Föderation, nach einer vorherigen Rückkehr der Kriegsflüchtlinge;
– eine privilegierte EU-Partnerschaft für die Ukraine, unter der gleichzeitigen Bedingung, dass die Ukraine kein NATO- und kein EU-Mitglied wird. Außerdem sollten auf dem Staatsgebiet der Ukraine keine Atomwaffen gelagert, Raketen oder ausländische Truppen stationiert werden;
– offene Fragen im Zusammenhang mit der Krim und Sewastopol innerhalb von 15 Jahren durch bilaterale Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zu lösen;
– Regelungen zur Aufklärung und Ahndung aller begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht von beiden Kriegsparteien.
Berlin, den 8. Februar 2022