Gesetzentwurf
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (Gesetz zur Einführung der Begründungspflicht)
Berlin, 13. Juli 2022. In Deutschland steht es jedem Bürger frei, sich bei einer Verletzung seiner Grundrechte nach Erschöpfung des Rechtsweges mit einer Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) an das Bundesverfassungsgericht zu wenden. Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Einschätzung, ob es die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung annimmt, einen weiten Beurteilungsspielraum.
Es nimmt eine Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a BVerfGG nicht zur Entscheidung an, soweit ihr keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, wenn es nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist, oder wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache kein besonders schwerer Nachteil entsteht. Der Nichtannahmebeschluss ist nach § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG nicht anfechtbar. Er muss gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG außerdem nicht begründet werden. Die Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde ohne Begründung soll das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer über Jahre angestiegenen Anzahl von Verfassungsbeschwerden vor einer übermäßigen Arbeitsbelastung schützen und seine Funktionsfähigkeit erhalten. Die aktuelle Rechtslage ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen Reformprozesses, durch den der Handlungsspielraum der Richter des obersten deutschen Gerichtes hinsichtlich der Annahme oder Nichtannahme schrittweise erweitert und zugleich der ihnen auferlegte Rechtfertigungsdruck verringert wurde. Mit der Gesetzesnovelle von 1963 (vgl. BGBl. I S. 589) und der Einführung des Annahmeverfahrens wurde der Begründungszwang für die Nichtannahme abgeschafft. Für die Begründung des Beschlusses der Nichtannahme genügte nunmehr ein Hinweis auf den für die Ablehnung maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkt. Das Mehr oder Weniger an Begründung blieb dem pflichtgemäßen Ermessen des Richters überlassen (vgl. Bundestagsdrucksache 4/1366). Im Änderungsgesetz von 1985 (vgl. BGBl. I S. 2227) wiederum wurde das Erfordernis der Begründung akzentuiert, indem der „maßgebliche rechtliche Gesichtspunkt“ dargelegt werden musste. Mit der Novelle von 1993 (vgl. BGBl. I S. 1442) entfiel das Begründungserfordernis im Interesse einer Entlastung des Bundesverfassungsgerichtes vollständig. In dem Maße, wie der Handlungsspielraum des Gerichtes erweitert wurde, wurde das Schutzinteresse der Bürger jedoch eingeschränkt. Der frühere Hinweis auf die maßgeblichen Gründe der Nichtannahme wurde mit der 5. Novelle von 1993 (vgl. BGBl. I S. 1442) vollends fallengelassen, sodass die Nichtannahme nicht mehr begründet werden muss. An dieser Verfahrensweise hat sich erhebliche Kritik entzündet.