Pressemitteilung

Glaser: Offener Brief an den Präsidenten des Deutschen Bundestages Dr. Wolfgang Schäuble

Berlin, 23. Dezember 2019. Offener Brief unseres Finanzpol. Sprechers Albrecht Glaser an Wolfgang Schäuble.

„Sehr geehrter Herr Präsident,

das Problem der dringend erforderlichen Reform des Bundestagswahlrechts wächst sich zu einem großen Menetekel aus.

Die von Ihnen zu Beginn der Legislaturperiode berufene Kommission, bestehend aus Vertretern aller Fraktionen, hatte nach vielen Monaten ihre Arbeit im Frühjahr ‘19 erfolglos beendet. Bei den gegebenen und unveränderten demoskopischen Verhältnissen wird der Bundestag 2021 deutlich über 800 Abgeordnete haben. Die vielfach beschworene Demo- kratieverdrossenheit wird durch die Unfähigkeit der als politische Klasse wahrgenommenen Akteure der Parteien reichhaltige Nahrung erhalten.

Die AfD hatte bereits in der Kommissionsarbeit und in den vergangenen Wochen im Bun- destag eine Reformkonzeption ins Spiel gebracht, welche den für eine Verhältniswahl pa- thologischen Vorgang der Entstehung von Überhang- und Ausgleichsmandaten beseitigen würde. Dieser auch am 17.10. im Bundestag eingebrachte Vorschlag würde zudem die bis- her bestehende Zahl und Struktur der Wahlkreise unangetastet lassen. Er würde sogar eine deutliche Verkleinerung der bisherigen Mandatszahl gegenüber den gesetzlich er- wünschten 598 Mandaten ermöglichen. Die von uns am 14.11. eingebrachte Gesetzesvor- lage würde durch deren schnelle Verabschiedung drei Monate zusätzlichen Spielraum schaffen, um bis September 2020 noch eine Reform zu verabschieden.

Das Beharren der Union auf dem bisherigen System ist einer der großen Bremsklötze jed- weder Reform. Der von den übrigen Oppositionsparteien am 14.11. eingebrachte Re- formentwurf hat offensichtlich Alibi-Charakter. Denn die dort vorgeschlagene Verkleinerung der Wahlkreise auf 250 bei Vergrößerung der Mandatszahlen auf 630 scheitert schon da- ran, dass bis März 2020 eine Totalrevision aller Wahlkreise handwerklich und politisch un- möglich ist. Das ist sicher auch den Antragstellern klar, von der Paradoxie der Verkleine- rung des Bundestages durch Erhöhung der Mandatszahlen von derzeit 598 auf 630 einmal abgesehen.

Als handwerklich und zeitlich machbare Lösung bietet sich daher das von der AfD vorge- legte und bereits in die Ausschussberatung verwiesene Modell an. Der Kern dieser Reform beruht, wie Ihnen bekannt ist, darauf, dass nur so viele Direktmandate errungen werden können, wie den Parteien in den Bundesländern Mandate nach ihrem Zweitstimmenergeb- nis zustehen. Dies hätte den großen Nutzen einer Beendigung der Kultur von Überhang- und Ausgleichsmandaten, die demokratietheoretisch seit eh und je hoch fraglich ist.

„Bezahlt“ würde dieser große Wahlrechts- und Glaubwürdigkeitsgewinn damit, dass Wahl- kreisbewerber, die typischerweise weniger als ein Drittel der Wahlkreisstimmen auf sich gezogen haben, nicht mehr zum Zuge kommen. Dass Bewerber, denen zwei Drittel der Wähler eines Wahlkreises nicht ihr Vertrauen ausgesprochen haben, auch nicht zum Zuge kommen, kann demokratietheoretisch schwerlich kritisiert werden.

Sofern man diesem Vorschlag nicht nähertreten will, weil er von der AfD stammt, darf ich mir erlauben, darauf hinzuweisen, dass man einen weitgehend identischen von einem hochkarätigen professoralen Fachmann in der wissenschaftlichen Literatur finden kann. Wir verweisen auf die Darstellung von Hans Meyer im „Archiv für Öffentliches Recht“, Jahrgang 2018, Seite 522 ff. Sie finden dort die zusammenfassende Bemerkung auf Seite 551:
„In den Ländern mit Überhängen – und nur dort – werden so viele Direktmandate nicht be- setzt, wie Überhänge entstanden sind. Es scheiden die prozentual erfolgsschwächsten Kan- didaten aus.“
Sie erlauben mir daher die abschließende Bemerkung: Wem es wirklich ernst ist mit dem jahrelangen Problem des Bundestagswahlrechts und wer eine weitere Ansehensschädigung des politischen Betriebs in diesem Lande wirklich verhindern will, der ist verpflichtet, jetzt umgehend zu handeln und von auf dem Tisch liegenden Optionen Gebrauch zu machen.

Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung und den besten Wünschen für ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest,
Albrecht Glaser, MdB“

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