Antrag

Wissenschaftliche Untersuchung der Parteizugehörigkeit und Funktionärstätigkeit späterer Bundestagsabgeordneter in der SED-Diktatur

Berlin, 13. Juni 2023. Die Aufarbeitung der Geschichte der zweiten deutschen Diktatur und ihrer Nachwirkungen in der Bundesrepublik wurden durch die Vernichtung der SED-Mitgliederkartei im Frühjahr 1990 unter dem damaligen PDS-Parteichef Gregor Gysi außerordentlich erschwert.

Ein Nebeneffekt dieser konspirativen Nacht-undNebel-Aktion war die Verschiebung der öffentlichen Aufmerksamkeit auf die Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit, dessen Archive („Stasi-Akten“) großteils vor der Zerstörung gerettet werden konnten. Bedingt durch die ungleich erhaltene Aktenlage „gelang es der PDS, Schuld auf die Stasi abzuwälzen,“ obgleich diese stets ausführendes Organ und Herrschaftsinstrument der SED gewesen war.

Dieses Informationsdefizit beeinträchtigt auch heute noch Nachforschungen zur politischen Karriere von Abgeordneten, die vor dem Oktober 1989 Mitglieder der SED oder einer Blockpartei waren. Zur Ermittlung einer Parteizugehörigkeit oder Funktionärstätigkeit in der DDR ist die Forschung vor allem auf freiwillige Angaben der betreffenden Politiker in den Abgeordnetenhandbüchern angewiesen. Solche Selbstangaben fehlten aber beispielsweise in Brandenburg bereits in der zweiten Wahlperiode fast völlig, wie der Enquete-Bericht des Landtags von 2011 konstatiert. Schnell wurde es zum „Volkssport“ unter Abgeordneten, belastende biographische Informationen wegzulassen. Auch Mitglieder des Bundestags und der Bundesregierung haben nachweislich eine mangelnde Bereitschaft zur Offenlegung ihrer DDR-Vergangenheit an den Tag gelegt. Damit wird jedoch eine wichtige Vorbedingung für die politische Willensbildung der Bürger, die Verfügbarkeit von ausreichenden Informationen zur selbständigen Beurteilung ihrer Parlamentsvertreter, untergraben. In Ermangelung wissenschaftlich erhobener Daten kann die Gesamtzahl der Bundestagsabgeordneten, die in der DDR Parteimitglied waren, auf über 200 Personen angesetzt werden. Das quantitative Ausmaß der DDR-Funktionärstätigkeit ist noch schlechter abzuschätzen.

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